Geliebt und verachtet: Zucker

By | 1. Mai 2015

Geliebt und verachtet: Zucker

„Gib dem Affen Zucker“: diese Redewendung allein sagt viel aus über den Stoff, aus dem die Schlemmer-Träume sind. Zucker als Synonym für Energie, Beruhigung, Glück und Zufriedenheit. „Das ist Zucker“ sagen wir manchmal, wenn uns etwas besonders gut gefällt. Schließlich hatte Bill Ramsey auch nur Augen für „die Zuckerpuppe aus der Bauchtanzgruppe“! Schon als Babys lieben wir den süßen Geschmack der Muttermilch, wir sind darauf konditioniert. Als wir noch süße Kinder waren, da waren das Beste der Feste doch die traditionellen Leckereien, die Osterhasen, Weihnachtsmänner und Co. Zucker kann Trost sein oder Belohnung, nicht nur in Form von Zuckerwatte oder -stangen, die ihren Hauptbestandteil stolz im Namen tragen, sondern auch versteckt in unzähligen Nahrungsmitteln. Auch in solchen, die gar nicht süß daherkommen (wie beispielsweise Ketchup). Zucker ist ein Geschmacksverstärker. Für Generationen von Säugetieren, bis zurück in die Steinzeit, war „süß“ vor allem ein Merkmal dafür, dass Lebensmittel genießbar sind. Was süß schmeckte, konnte nicht verdorben oder giftig sein. 

Und heute? Ist heute Zucker für uns das reinste Gift?

„Ein jed‘ Ding ist Gift, allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“ So wusste bereits Paracelsus. Früher war nicht alles einfacher, doch zumindest was den Zuckerkonsum betrifft, laufen wir heute ungleich leichter Gefahr, uns zu viel des Guten zu genehmigen. Ehemals knapp und rationiert, hat sich Zucker seit der Zeit um 1900 zum Massen- und somit zum Billigprodukt entwickelt. Vom Genussmittel zum allgegenwärtigen Nahrungsmittel: stolze 34 kg Zucker jährlich beträgt die Menge, die der durchschnittliche Deutsche verzehrt. 34 kg! Industrie- oder Haushaltszucker (Saccharose) setzt sich zusammen aus Frucht- und Traubenzucker (Glucose und Fructose) und hat einen Nährwert von 4 kcal/g.

Unser Körper ist also seit Urzeiten gewohnt und dazu in der Lage, die lebenswichtige Energie, die kohlehydrat-, stärke- und zuckerhaltige Lebensmittel uns liefern, zu nutzen und einen Energie-/Zuckerüberschuss für schlechte Zeiten zu bunkern. 

Vereinfacht läuft das so ab: Dass unser Blutzuckerspiegel ausgeglichen ist, dafür sorgt bei gesunden Menschen die Bauchspeicheldrüse. Sie produziert das Hormon Insulin, um den Zucker, der übrig ist, in Form von Speicherfett zu lagern. Sinkt unser Blutzuckerspiegel, tritt Glukagon auf den Plan (ebenfalls ein Produkt der Bauchspeicheldrüse), welches dafür sorgt, dass die Speicherfett-Energie wieder zur Verfügung gestellt wird. Seit tausenden von Jahren hat sich dieses System bewährt. Mal gab es ein Zuviel und mal ein Zuwenig an Nahrung, abhängig vom Jagdglück, von der Jahreszeit …, so kam man ganz gut über die Runden.

Dass Kohlehydrate nicht ständig verfügbar waren, ist ein Unterschied. Ein weiterer ist die Qualität, die Form, in der die Kohlehydrate daherkommen. Früher natürlich als Früchte, Kräuter, Wurzeln, Honig, Samen und Nüsse, also, mit allem „Drum und Dran“ – mit Pflanzenfasern, Vitalstoffen, Vitaminen, Spurenelementen … komplexe Kohlehydrate eben. (Aufgrund ihrer Struktur hat unser Körper erstmal zu arbeiten, bis er an die verwertbare Glukose kommt.) Komplexe Kohlehydrate gehen langsam ins Blut und werden auch langsam wieder abgebaut. Die Krux heute sind die allgegenwärtigen isolierten Kohlehydrate, die Ein- und Zweifachzucker: sie schießen förmlich ins Blut, eine starke „Insulinantwort“ folgt, der Blutzuckerspiegel sinkt ebenso schnell wieder, wie er angestiegen ist. Und so ein „Zuckerhoch“ gefällt uns! Dieses gute Gefühl, dass es uns verschafft, stammt von Anno dazumal, als so ein „Highlight“ wirklich sehr selten war und deshalb eindeutig positiv bewertet werden konnte. Deshalb wollen wir mehr davon! Ein neues Zuckerhochgefühl und wieder eines … unsere Bauchspeicheldrüse wird überfordert, müde und schlapp. Die Folge ist Diabetes mellitus II. 
Dieses Hochschnellen wird natürlich verzögert, wenn wir die isolierten Kohlehydrate, den „puren Zucker“ in Form von Kuchen, Keksen, Schokolade, Gummibären, süßen Getränken usw. nicht als selbstständige Mahlzeit, sondern zeitnah zu „vernünftigem“ Essen, etwa als Nachtisch zu uns nehmen (so hält sich auch die Zuckermenge in Grenzen).

Für einen Marathonläufer dagegen sind die schnellen, isolierten Kohlehydrate freilich ein Segen. Ballastfrei kann er ruck-zuck seinen Blutszuckerspiegel auffüllen. Doch nicht alle von uns sind Marathonläufer.

Dem modernen Menschen stehen also Kohlhydrate/Zucker zur Verfügung, die sehr schnell ins Blut gehen und davon jede Menge, überall und jederzeit. Verschärfend kommt hinzu, dass unsere Vorfahren nicht nur weniger Glukose aufgenommen, sondern sich auch ungleich mehr bewegt haben!

Dafür kann der Zucker nichts. Wir stehen in der Verantwortung, zu regeln, was früher die Natur geregelt hat. 

Wenn wir es schaffen, die isolierten, schnellen Kohlehydrate in süßen Speisen und Getränken wieder als Kostbarkeit zu betrachten, als Ausnahme, und unseren Bedarf grundsätzlich mit natürlichen, statt mit industriell verarbeiteten Lebensmittel, zu decken, dankt uns das unser Körper. Denn nicht nur unsere Bauchspeicheldrüse, sondern unser ganzes System kommt mit der ständigen Überfütterung nicht zurecht. Wenn wir außerdem ein bewegtes, aktives Leben führen (unser Körper ist für Bewegung geschaffen und nicht fürs Stillhalten), haben wir gute Chancen, gesund zu bleiben/zu werden. Auch eine müde Bauchspeicheldrüse kann sich wieder erholen, wenn wir ihr Gelegenheit dazu geben.

Wir haben heute alles. Vor allem die Wahl. Nicht der Zucker ist das Gift, sondern die Art und Weise, wie wir ihn konsumieren.

 

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